Die Fotografie auf dem Schutzumschlag bereitet eine fast unerklärliche Freude: Was ist das, was sieht man hier? Junge Menschen, aufgekratzt, beseelt von unbeschwerter Lebenslust – und irgendwie scheinen sie alle am gleichen Strang zu ziehen. Doch gleichgültig, was sie vereint, der Betrachter möchte augenblicklich dazu gehören, mitmachen in diesem Klub von Gleichgesinnten. Alle sind dabei, als jemand ruft: "Achtung, Aufnahme, schaut zu mir hoch!"
Fotoauge und Betrachter werden eins beim stürzenden Blick an der Fassade des Prellerhauses hinab auf die Kantinenterrasse am Dessauer Bauhaus. Die Staffelung in die Tiefe verläuft über vier Ebenen: Auf der Fotografenebene schiebt sich unverhältnismäßig groß eine Schuhkappe ins Bild. (Indiz auf das Geschlecht des Fotografen?) Eine Balkonetage tiefer halten Grazien – natürlich drei an der Zahl – ihre schönen Gesichter in den Sommerwind: Grete Reichardt, Anni Albers und Gunta Stölzl. Alle sind sie begabte junge Frauen aus der Webereiwerkstatt. Auf der Terrasse vor der Kantine, der dritten Ebene, werfen ein in die Sonne blinzelnder Studierender und der Spaßvogel Max Bill lange Schatten auf den Beton. Die nachmittägliche Sonneneinstrahlung scheidet auf einer vierten Ebene durch das schwarze Schattenband die gemauerte Balustrade von der Terrasse. Auf ihr lassen Bauhäusler beidseitig die Beine baumeln und schauen lächelnd, die Augen vor den Sonnenstrahlen schützend oder skeptisch, wie der zweite mit weißem Hemd gekleidete Mann (sich dergestalt als Studierender der Ausbauwerkstatt und künftiger Architekt ausweisend) hinauf zum Fotografen. Der angeschnittene braune Schuh ist doppelt so groß wie die unten lächelnden Menschenkinder. Die Aufnahme, ein verrücktes Figurenkabinett, das Raum und Perspektive aus den Angeln hebt, reicht die Lebensfreude, die meist am Bauhaus herrschte, ungebrochen an uns weiter. Sie allein könnte als Dispositiv für Freundschaft, das Erwachsenwerden mit all seinen Wirrnissen und Irrungen, schulischen Wettbewerb und zahllose Versprechen an die Zukunft herhalten.
Wer sich ein wenig in der Zeit und ihren Dokumenten auskennt, weiß indes sogleich, warum die Fotografie so temperamentvoll und kolossal gegenwärtig daher kommt. Im Auftrag des Hanser Verlages wurde diese eine unter ein paar hundert schwarzweißen Bauhaus-Fotografien aus den 1920er Jahren mittels eines Farbprogramms am Rechner koloriert und verlebendigt. Früher nannte man eine solche Technik, noch manuell ausgeführt, "Viragieren". Etlichen Stummfilmen wurde mit ihr vor der Erfindung des Farbfilms Leben eingehaucht … denn ist das Leben etwa nicht bunt? Selbstverständlich reicht dieses Handwerk nicht an die heutige digitale Perfektion heran. – Der Dynamik jener die Aufnahme schrägdiagonal zerteilenden Linien von Balkons und stählernen Brüstungen, von Terrasse und Balustrade nimmt die Farbe erstaunlicherweise nichts von ihrer Wucht.
Ein Argument gegen die nun schon über ein halbes Jahrhundert währende Apotheose auf das Neue Sehen und seine bahnbrechenden Möglichkeiten in der Dynamisierung von Kompositionen zwischen den nichtfarbigen Polen Schwarz und Weiß.
Die Titelfotografie wirkt so frisch, als sei sie erst gestern aufgenommen worden – und erst bei weiterem Nachdenken über das Motiv wird klar: Im Vergleich zu unserer Zeit stimmt etwas nicht. Die jungen Menschen im Jahr 1927 geben sich nicht natürlich, SIE SIND ES und deshalb auch Lichtjahre entfernt vom Posertum, das uns als pseudo-existenzielle Haltung, als "Palindrom" tagtäglich aus allen Selfies entgegenruft: Ich Bin Das! Das Bin Ich! Es fehlte diesen Leuten einfach der Faktor Coolness, der große Gleichmacher, der heutzutage Studenten, Art Directors, Künstler oder Architekten zwischen zwanzig bis vierzig plus, zwischen Wirtschaftswundern, Konsumwahn, Wissenschaftshörigkeit und WorldWideWeb ununterscheidbar macht. Das Bauhaus wusste nichts von der grotesken Über- oder kommerziellen Entindividualisierung unserer Gegenwart, war in seinen Gründungsjahren ahnungslos vom Naziterror, der schon bald die Welt umfangen sollte. Es besaß die Unschuld des Neuanfangs in einer Welt voller Verheißungen, so entbehrungsreich das tägliche Leben auch gewesen sein mag. Es war ein Hort an Möglichkeiten, umhegt von einigen der größten Visionäre und Künstler jener Jahre. Weshalb es noch nach hundert Jahren ungemein attraktiv auf uns wirkt.
Zwischen den Zivilisationsbrüchen der Weltkriege gab es bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten ganze 15 Jahre für eine fieberhafte Suche: nach neuen sinnstiftenden Zeichen und Heilsprogrammen, politischen Demarkationslinien zwischen Revolution und Reaktion und nach lebensnahen Philosophien, die den Alltag in einem Land, das geschwächt von Kriegsschulden und Inflation durch seine erste demokratische Versuchsanordnung taumelte, begreifbar machten. Das Bauhaus hat sich in den 14 Jahren seiner Existenz (1918-1933) mit Inbrunst an dieser Suche beteiligt, wollte den neuen Menschen durch seine Propädeutik des freien Lernens auf eine offene emanzipierte Gesellschaft vorbereiten – unter anderem in der Entwicklung nützlicher, gestalterisch ausgewogener und deshalb schöner Gebrauchsobjekte und Architekturen. Dass dieser Ansatz als gelungen betrachtet werden kann, davon kündet die bis heute anhaltende Faszination an der Schule, ihren Menschen und ihren Hervorbringungen. Diese ist kaum allein einer weiteren genialen Werbestrategie des Bauhaus-Gründers Walter Gropius geschuldet, seine Erfindung und ureigenste Institution in den überschaubaren Reigen kultureller Leuchtfeuer der deutschen Zwischenkriegsphase einzustellen, deren Abglanz noch die junge Bundesrepublik illuminieren sollte. Der Weimarer "Intelligenzija" hatte sich Hitler-Deutschland brutal entledigt, die Reaktion trug mit katastrophalem Furor den Sieg davon. Dieser Sieg bedeutete 1933 auch das Ende des Bauhauses, nicht so seines Ruhmes, der zu hundertsten Gründungsjubiläum 2019 mit erwartbarem Pomp and circumstance begangen werden wird.
Zu den circumstances gehören neben neuen Museumsbauten und einem Defilee von Ausstellungen und Feiern das 17 Monate vor Beginn des Jubeljahres vorgelegte Buch "Blaupause", das vom Verlag als "Campus-Roman" beworben wird. Vielleicht ein Fehler, denn es müsste in Sarkasmus enden, es mit anderen Campus-Romanen vergleichen zu wollen – wie zum Beispiel "The Secret History". An diesem fulminanten Debüt feilte die Amerikanerin Donna Tartt annähernd neun Jahre und verstand es mit ihrer so glanzvoll erzählten wie psychologisch komplexen Geschichte über ein Elite-College an der Ostküste, ihr Publikum von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Die einzelnen Charaktere sind bis zum Feinschliff ausgearbeitet, Fallstricke werden immer enger geknüpft, bis die klaustrophobische Atmosphäre im winterlichen Vermont Protagonisten wie Lesern gleichermaßen die Luft abschnürt. In einer raffiniert eingezogenen Metaebene werden die in Philosophie-Seminaren verhandelten Fragen über Schuld, Sühne und Moral zum Lackmustest für die Vergehen und Haltungen der Studenten.
Aber wie gesagt, es wäre unredlich, den Vergleich mit einem deutlich umfangreicheren Werk aus den späten 1980ern zu suchen.
Bei allem Respekt und großer Bewunderung vor dem Mut, einen Bauhaus-Roman verfassen zu wollen, finde ich: Theresia Enzensberger hat es sich zu einfach gemacht.
Die Geschichte ihrer Heldin Luise Schilling, die als Ich-Erzählerin das Bauhaus besucht – dazu Liebesaffären mit Kommilitonen durchleidet, Freundschaften eingeht und Eifersüchteleien mit Frauen wie Männern ausficht – verharrt im gefühlsstarren Niemandsland eines "Coming of Age", dessen vorhersehbare Entwicklungsschritte auch an beliebigen anderen Orten der Weimarer Republik hätten vollzogen werden können, hier einige Beispiele: Luise Schilling als kleine Abteilungsdirektrice im KaDeWe; die Freundin und Beraterin von bald weltberühmten Künstlern im Dresdner Kunsthandel; oder in Potsdam zur Lektorin im Kiepenheuer Verlag befördert, der damals alle anzog, die literarisch Rang und Namen hatten oder in Kürze haben sollten.
Die Wahl Enzensbergers fiel jedoch auf das inzwischen in mythische Dimensionen aufgestiegene Bauhaus – dessen erste expressionistisch-sektiererische Station in Weimar und das bereits konzeptuell der Industrie zuarbeitende Dessauer Institut.
Die Autorin interessiert sich eigentlich gar nicht für die Schule, ihre Leistungen, ihre politischen Klimmzüge und Menschen. Auf Grundlage einer umfangreich dokumentierten Bauhaushistorie hätte über beide Orte unendlich fabuliert werden können. Die eingangs beschriebene Fotografie liefert wie zahllose weitere ein anschauliches Bild von Leben und Arbeit der Studierenden wie der Meister. Doch erfährt der Leser so gut wie nichts über die beiden Provinzstädte, weniger noch über Alltag und Lebenswelt der Weimarer Gesellschaft.
So schablonenhaft wie Gropius' Direktorenzimmer, die Schulgebäude, Weberei und Tischlerei, studentische Ateliers, das Tempelherrenhaus im Ilm-Park zu Weimar, Kneipen oder das elterliche Heim geschildert werden, wird das Bauhaus-Personal vorgeführt: ein gedanklich stets abwesender Direktor Gropius; der arrogante, unnahbare Johannes Itten; Paul Klee mit seinen dunkel umflorten, "melancholischen" Augen; der "pfauenhafte" Herbert Bayer; Hannes Meyer und Alcar Rudelt, streng über die Baulehre gebietend, und wenige andere mehr im Nebensatz erwähnte Meister. Keiner erhielte eine Kontur, die aus ihnen mehr machte als Pappsoldaten, die zum Szenarium gehören und pflichtschuldigst Erwähnung finden müssen.
Nun zeugt es bekanntermaßen von hoher Kunstfertigkeit, Persönlichkeiten der Zeitgeschichte so lebendig in einen fiktiven Text einzubinden, dass ihnen zum einen historische Gerechtigkeit widerführe und zum anderen Überzeichnungen vermieden würden. Es in einem Roman über das Bauhaus erst gar nicht zu versuchen, ist schon ein starkes Stück an unterlassener Fabulierlust und vorenthaltener Lesefreude!
Desgleichen finden Resultate aus Diskussionen, endlosen Experimenten und, wie anders, aus sprichwörtlichem Schweiß und Tränen wenig Beachtung. Es ist die Rede von all den schönen Dingen, die es damals erstmalig gab – und heute aus gutem Grund noch immer. Nicht eines der Objekte, die unser Bild vom Bauhaus prägen, strahlte atmosphärisch, erhielte seinen Platz in einem noch so kleinen gestalt-philosophischen Diskurs oder gar Symbolkraft für diese einzigartige Schule. Die Autorin verzichtet neben all dem Herzschmerz von Adoleszenz, familiären Abnabelungskämpfen und ökonomischen Zwängen darauf, das Bauhaus, das sie zur Kulisse ihres Entwicklungsromans erkoren hat, als Nukleus moderner Lebensformen und Gestaltung zu beschreiben. Exakt an diesem Schnittpunkt von Ideensuche und Experiment, harter Arbeit und Wohnen in der Lehranstalt entstanden jedoch neue soziale Verhaltensweisen und Modelle für die Zukunft!
Aber ja, sie sind vorhanden: der gelbe Sessel und der überwältigende Schreibtisch in Gropius' Büros, Ittens "Turm des Feuers", Farbleitsysteme in den Schulfluren, rätselhafte Vorkursarbeiten, ein handwerklicher Denkfehler im Treppenhaus der Villa Sommerfeld, die helldunkle Farbgebung des Toilettentischchens für das Haus am Horn, die auf konstruktiven Überlegungen beruht. Aber diese Dinge lagern in den eigenartig unmöblierten Räumen des Romans wie fremde Wesen, ungeerdet.
Gefragt, wie sie eine Arbeit fände, erwidert Luise Schilling: "Was weiß ich schon. Ich bin keine Künstlerin." Genau das ist der Punkt, denn eigentlich steht sie mitten drin, möchte mitmischen. Nur die im besten Fall gleichgültige Verwunderung über das Treiben um sie herum markiert ihre Rolle als das Bauhaus von außen Betrachtende, der aber bedauerlicherweise das Brio fehlt, eine Begeisterung für die Sache, die wir auf der zu Beginn beschriebenen Fotografie spüren können.
Da wirkt es unfreiwillig komisch, dass Luise ihren Willen, in der Tischlerei statt in der Weberei wie die anderen Frauen zu lernen, einer Holzkugel aufoktroyieren möchte, die unter ihren Händen kleiner und kleiner wird. Wurde hier eine Metapher für das Verschwinden der Objekte gefunden, der Verlust an Materie gekennzeichnet? Oder sollte dies ein griffiges Bild für Luisens Machtlosigkeit sowie der weiblichen Studierenden am Bauhaus sein?
Enzensbergers Erzählperspektive lässt Luise Schilling in der Ich-Form von ihren Beobachtungen, Ängsten, Gefühlen berichten. Dieser Kunstgriff kann situative Beschreibungen oder emotionale Zustände intensivieren, da er eine größere Lesernähe zur/m Protagonistin/en hergestellt. Hinter der Distanzlosigkeit des Ich-Erzählers zu seinem eigenen Tun und Handeln kann die zentrale Figur aber mitunter auch verschwinden. Luise eilt durch kurze Szenarien, begegnet Leuten, feiert mit ihnen, führt Gespräche, gibt sich ihren Liebhabern hin, doch letztlich bleibt sie als Frau blass – gesichts- und fleischlos. Der Leser wird mit ihr nicht warm, empfindet kaum mit ihr, noch nicht einmal dann, als sie von ihrem Freund Hermann übel misshandelt wird. Sie ist das leere Zentrum eines Romans, das Frauen-Klischees der Zwanziger Jahre zu transportieren hat: von der Emanzipierung bis hin zu einer beruflichen Selbstständigkeit. Es gibt einige wenige rührende Momente von Hilfsbereitschaft und Zugewandtheit, unter den Freunden, zumal den Schwulen oder von Seiten jüdischer Kommilitonen. Doch eigentlich sind sie alle Einzelkämpfer, selbstbezogene "Ichlinge", kalte Fische. Die Gruppendynamik des Itten-Kreises, Werkstätten und Schulbetrieb sowie die Wettbewerbe unter den Studierenden sind Stationen einer Transgression, um bei sich und den ureigenen Interessen zu landen. Nicht mehr, aber vielleicht doch weniger. Man wird das schale Gefühl nicht los, dass hier vor der Staffage des Bauhauses die Ichmonster der Jetztzeit vorgestellt werden, von denen eingangs schon als Selfisten die Rede war. Doch Funktionen Romane unter anderem über Identifikationsangebote an den Leser.
Es ist kein Salz in den Tränen der Luise.
Der Enzensberger-Roman bedient sich als narrativer Grundstruktur jenes Konfliktes, dessen sich alle bedienen, die die Zwanziger Jahre auf griffige Formeln, gängige Klischees und mittlerweile allseits bekannte Motive herunterbrechen: die Dämmerung des Nationalsozialismus vor der zunehmend verzweifelt werdenden Gegenwehr linksliberaler oder kommunistischer Verbindungen. Das ist nicht ehrenrührig, aber es ist eben auch nicht sonderlich originell:
Der erste Roman, "Bauhausfest mit Truxa", des waschechten Bauhäuslers Egon H. Rakette (hier wird mit allem Recht der Zeitzeugenschaft die Ich-Form angewendet) muss diesen politischen Konflikt, der seit dem Direktoratsantritt von Hannes Meyer, einem erklärten Sozialisten und streitbaren Zeitgenossen, ab 1928 immer stärker schwelte, zwangsläufig zugrundelegen. Rakette war Studierender der letzten anderthalb Schuljahre bis zur Selbstaufgabe des Bauhauses auf Druck der Nazis unter seinem dritten Direktor Ludwig Mies van der Rohe. Durchgängig von Berliner Mutterwitz getragen und pfiffig geschrieben, verwendet das Buch noch den authentischen Jargon jener Jahre – soweit unsereiner das beurteilen kann. Mit Anfang zwanzig 1932/33 am Bauhaus eingeschrieben, war Rakette bei Romanerscheinen im Jahr 1973 vielleicht Mitte sechzig. Da sollte jemand noch seinen Bregen kontrollieren können und sich ganz gut zurückerinnern.
Vierzig Jahre später, 2013, publiziert der Journalist Andreas Hilger seinen Bauhaus-Roman "Gläserne Zeit". Hier erneut oben zitierter Konflikt, doch wagt es Hilger, die Bauhaus-Objekte zu beseelen, schafft gelungene Szenen, gar Dialoge mit Meister Klee, bindet wie Rakette die Unterschicht mit ihren wirtschaftlichen Nöten sinnfällig ein in die Dramaturgie seines Buches, das auf weiten Strecken aus der Perspektive des Proletariats erzählt wird.
Und jetzt, dem Jubiläum nahe, der dritte Bauhaus-Roman – von Theresia Enzensberger! In Format, Länge und Ausstattung, von vergleichbaren Titelfotos zu schweigen, ähnelt er Hilgers Buch, wie eineiige Zwillinge sich nun mal ähneln.
Das ist selten; geschah es rein zufällig?
Luise brennt natürlich schon ein wenig, hat viel Freud am Ziel, mit erfolgreich absolvierter Ausbildung zur Architektin den Vater und ihren Widerling von Bruder zu desavouieren, die beide von Frauen weniger als nichts halten. Befreien kann sie sich von ihrem Penis-Neid (ja, Entschuldigung) auf keiner Seite des Buches. Verfällt sie im Weimar-Teil einem hübschen Itten-Adepten, den es eher in Ittens Klausnerei auf den Zürcher Herrliberg als zu ihr ins Bett zieht, so rafft sie bis zum bitteren Dessauer Ende nicht, im Geliebten Herrmann den Proto-Faschisten zu entlarven, bewundert stattdessen seine Chuzpe (!), die nie versiegenden Alkoholvorräte und die Stahlrohrsessel (ganze vier an der Zahl), mit denen er sein Atelier eingerichtet hat. Das sind Luisens Stereo-Typen.
Ha, stolz ist sie, dass sie bei einigen Debatten über das Schisma der National / Sozialisten, an dem Weimar scheitern wird, mithalten kann.
Das Ende der Fahnenstange ist hiermit allerdings lange nicht erreicht – because I heard it thru' the grapevine: HBO oder eine andere dieser sagenhaft unabhängigen amerikanischen TV-Anstalten plant eine weitere dieser sagenhaft brillanten TV-Serien, die vom Feuilleton über den grünen Klee gelobt werden. Man darf nur einmal raten, worum es sich drehen wird: richtig, um das Bauhaus vor der Folie des manichäischen Konfliktes, der die Zwanziger beherrschte wie kein zweiter.
Nun denn also, es scheint in der Literatur (siehe auch Alfred Döblin, Erich Kästner, Hans Fallada, Siegfried Lenz, Günter Grass et alii) wie im Film nur diese eine Konstellation zu existieren, anhand derer sich die Zwanziger Jahre abbilden ließen/lassen. Finden wir uns damit ab.
Und, ohne auf der Walser-Walze tanzen zu wollen, weiß Gott nicht:
Seit Blockbustern der mittleren Stunde wie Bob Fosses "Cabaret", Bertoluccis "1900" und neben Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" in weiteren gefühlten tausend Stunden öffentlich-rechtlichen TV-Futters Made in Germany (ein Prädikat, das wir gerade en passant mit oder ohne Diesel verspielen) sind wir zum Thema so hinreichend mit laufenden Bildern versorgt worden, dass sie ihren mentalen Abdruck auf nicht nur einer Gehirnwindung hinterließen.
––––––– Nun wirklich das Ende ––––––––
Oh Zauberberg, warum kreißt du immerfort und gebierst nur noch Mäuslein?
Wie geht es weiter? Ach so, der Clou fehlt, der allem die mit Klischees und üblem Nachruf verzierte Talmi-Krone aufdrückt. Andreas Platthaus verbrämte ihn als Pointe, die er in seiner FAZ-Kritik zum Enzensberger-Roman nicht offenlegen dürfe. Oder hat er sich schlicht geschämt?
Ich traue mich zu sagen, dass das Ende des Enzensberger-Romans grob geschnitzt ist. Enzensberger und Luisen haben in der Tischlerei-Werkstatt zwar das Drechseln gelernt, doch, alas, nicht die hohe Kunst der Ebenisten.
In den Sammlungen zum Bauhaus wird bis zum heutigen Tag nur hinter vorgehaltener Hand geraunt, dass Walter Gropius, Begründer des Mythos, Werbestratege von hohen Graden, weltgerühmter Architekt des International Style, Kulturheros der BRD nicht habe zeichnen können. Dieses Manko hätte er in seiner Ausbildung, noch bei Peter Behrens, doch keinesfalls mehr nach dem Badeunfall (mit tödlichem Ausgang) seines Kompagnons Adolf Meyer verbergen können, der ein zeichnerisches Genie gewesen sei. Kaum hörbar dann die Mitteilung, dass Gropius schon zu frühester Stunde Mitglied der Reichskulturkammer war. Wie gesagt, diese Informationen werden im Bewusstsein der Schande nur im Flüsterton weitergereicht, denn das Nest zu beschmutzen, in dem man es sich gemütlich gemacht hat, kommt nicht in Frage. Letztlich verdient man sein Geld noch immer mit der einen weitreichenden Idee Gropius', diese großartige Schule gegründet zu haben.
Ehrgeizig bis zum Erblinden vor politischen Wechselfällen und Prophezeiungen (die an jeder reichsdeutschen Wand standen), nur die eigenen Aufträge im Sinn, Ambitionen, die als Turmhäuser buchstäblich in den Himmel wachsen, jaja. Der Architekt will bauen, der Maler malen undsofort.
Die Zunft der Baumeister, von jeher und bis in unsere Gegenwart unbeleckt von "Genanz" oder falscher Bescheidenheit, ist eine der Männer von wahrlich renaissancehaften Proportionen und, vielleicht, einer handverlesenen Schar von Frauen. Ihre politische Kompromissbereitschaft in der Ausübung der höchsten aller Künste, die finanziert werden muss, soll sie nicht Transparentpapier bleiben, führte und führt in Bereiche jenseits von Anstand oder gar Moral. Dass diese Geisteskolosse ein Fußvolk um sich scharen müssen zur Ausführung kleiner wie großer Aufgaben, auf denen am Ende meist nur der eine glanzvolle Name prangt, ist schreiend ungerecht – nur, lautet der Atem unserer Welt auf Gerechtigkeit? Fern liegt mir eine Apologetik von Machenschaften und Verabredungen, die kapitalistische Systeme durchziehen wie pulsierendes Aderwerk und meist milde "Konventionen" geheißen werden, um die Chose am Laufen zu halten.
Bei allem oben Gesagten – die Enzensberger-Pointe am Ende ihres Romans ist aus der untersten Kolportagerumpelkiste geklaubt. Grob zusammengezimmert wird sie dem Leser als Coup de grace angedient für alles, was das ehrwürdige Bauhaus auszeichnen sollte, aber – wir ahnen es – aus allzu menschlichen Gründen nie tat: Emanzipation beider Geschlechter, saubere Wettbewerbe, kollegialer Umgang unter Studierenden wie Meistern, null Konkurrenzgebaren, keine sexuellen Übergriffe etc.
Da erdreistet sich der Bauhaus-Direktor Walter Gropius (reale Figur) tatsächlich, Luisens exzellenten Siedlungsentwurf (fiktiv) zu stehlen und die "Blaupause" ihres Plans seiner Siedlungstruktur von Karlsruhe-Dammerstock (gebaut) zugrunde zu legen.
Pfui – und hui, denn hier zieht's gewaltig auf der Anklagebank, auf der Gropius nun endlich öffentlich und als abgefeimter Nutznießer fremden Gedankenguts, als Plagiator Platz nehmen musste, nachdem Enzensberger ihn vom notorischen Helden-Sockel gestoßen hat. Seien wir glücklich, dass wir nicht mehr hinter vorgehaltener Hand über ihn reden müssen. Blutjunge Studentinnen hat er auch verführt, der Saubazi, und alles haben sie ihm durchgehen lassen. Mit der Heimlichtuerei ist's das jetzt gewesen. –
Schade nur, dass Claudia Kromrei, Vorsitzende des Berliner Werkbundes, Enzensberger nicht ein wenig umsichtiger beraten hat. Die Siedlung Dammerstock (erbaut 1928/29) hat wie keine andere Gegner auf den Plan gerufen und – nicht zuletzt durch den Kritiker Adolf Behne angestoßen – die große Formalismus-Debatte im 20. Jahrhundert in Gang gebracht. Der Architekt denkt und der Mensch lenkt – seine Schritte nach dem Willen des Baumeisters.
Luisens Plan war offensichtlich doch nicht so doll und Gropius in seinem Ehrgeiz zu vernagelt, das zu kapieren. So ist es oft bei Leuten, die abschreiben.
Im "Nachruf" des Romans erfährt der Leser, dass Luise Schilling sich nach dieser Demütigung aufgemacht hat in das Land of the free to have a home of a brave. In der neuen Welt wird sie, so hofft die Leserschaft, schließlich ein neuer Mensch, eine Befreite geworden sein.
Nur, sie kann es nicht lassen, weibliches Nachstoßen par excellence, auch hier noch ein letzter Hieb gegen den verhassten Walter Gropius, den Erbauer "seelenloser Büroblöcke" und sein PanAm Building.
Ruhe er in Frieden!
Und lasst uns jetzt das Bauhaus feiern, wie es ihm zusteht – mit Pomp and circumstance.
Dieser Versuch eines neuen Bauhaus-Romans hätte deutlich mehr von jener Farbe verdient, mit der seine Titelfotografie zum Leuchten gebracht wurde.
Berlin, 29. Juli 2017
Dienstag, 8. August 2017
Farbig oder monochrom? Der Roman "Blaupause" von Theresia Enzensberger
Letzte Einträge
WUNDERBLOCK
Farbig oder monochrom? Der Roman "Blaupause" von Theresia Enzensberger
England im Mai 2017
Cote d'Azur im November 2015
Von der Uneigentlichkeit des Seins, sozusagen
Satans Spielfeld, Roman von Ute Cohen, 2017
Annelies Strba, "Hiroshima mon amour", 1994
Comrades of all nations, Freunde, femmes et hommes de la rue, companeros, amici -
Freunde, comrades of all nations, femmes et hommes de la rue, companeros, amici -
Balanceakte und artistische Infanten. Equilibristen auf der Schaukel ratlos