Leserbrief auf den Artikel "It's like" von Ulf Erdmann Ziegler, FAZ, 04.03.2017
Stehenden Fußes, sozusagen, möchte eine Erwiderung sich Bahn brechen, sich soz'sagen Gehör verschaffen.
Worum geht es? Ulf Erdmann Ziegler schreibt von Beobachtungen, doch will er selbstverständlich keine Kurzstudie zur amerikanischen Gebärdensprache vorlegen. Es geht um die unlängst gemachten 'Hörungen' des Linguisten während eines Stipendiums auf den Straßen von New York. Im Herbst. Anno 2016.
Der aufmerksame Zeitgenosse und Amateurphänomenologe liest und staunt nicht schlecht. Yo, bro, what an astute observation you've made!
The "likes" and their likes zerren an den Nerven, wer möchte das bestreiten? Denn auch durch Berlin und andere Megalopolen des alten Kontinents ziehen Horden von amerikanischen college kids, like talking to each other like stuttering. Dem Teenagerslang wurde ein mechanischer Stotterer eingebaut, der die Sprache verunreinigt wie ein Tropfen Zuckerwassers die Tankfüllung. Seither hat der Redefluss ein Anlasserproblem und stammert wie ein verunreinigter Otto-Motor.
Der Linguist hat diese aural sculptures fein beschrieben. Nur zog er daraus keine Schlüsse. Auch die Chronologie ist deutlich zu kurz gefasst.
Sprachliche Verschleifungen, Füllwörter, Redensarten, street talk and garbling geben Auskunft über unsere amerikolonisierte consumers' culture. Es gibt haarfeine mentale Spaltungen ebenso wie Entsprechungen im Mare Germanicum der englischen und deutschen Dialekte.
Dass sich über den "like" button von facebook die "likes" natürlich in sämtliche Bewertungsformatierungen der social media eingeschlichen haben – like it or not, it's a fact. Wobei es auch ein "nice, fab, great, cool, awesome" täte. Aber nein, hier ist das "like" wieder an einen urteilenden Autor gebunden, subjektiviert sich so to speak und erhält durch den Prozess der Wertung eine andere Qualität, die des Vorzuggebens.
Handelt es sich um einen Auswuchs politischer Korrektheit, der mit der Gleichmacherei der "likes" noch jeden Unterschied in der Dingwelt einebnen möchte? Wenn nichts mit einer exakten Entsprechung benannt werden kann, die ein "like" überflüssig machte, würde auch jede Semantik ihre Bedeutung verlieren. Eine Welt von Gleichen unter Gleichen. Ein Paradies.
Oder versucht die Alltagsprosa weißer rich kids, auf seltsame Weise eine Hip-Hop-Melodie zu imitieren, wobei ihr nöliger Singsang selbstredend jener schwarzen Rhythmik entbehrt, die schon tänzerische Darbietungen von Afroamerikanern aufs Anmutigste von jenen aus W.A.S.P. suburbia unterscheidet?
Wir scheinen hier womöglich ins Schwarze oder ins Weiße (der political correctness halber) getroffen zu haben: Frank Zappa – als Dekonstrukteur, Komponist, Pop-Avantgardist und, ja, begnadeter Linguist viel zu früh abgetreten – weiß die Antwort. Seine galligen Verballhornungen der La la Landsleute fanden unmittelbaren Eingang in seine Songtexte. Die 'Hörungen' seiner nicht minder intelligenten Tochter Moon, die im zarten Alter von 14 Jahren unter den Mitschülerinnen im Valley kulturanthropologische Studien vornahm, verarbeiteten sie gemeinsam in den lyrics des einzigen Zappa-Top 40-Hits: "Valley Girl" ...
She's a Valley Girl
In a clothing store
Like, OH MY GOD! (Valley Girl)
Like - TOTALLY (Valley Girl)
Encino is like SO BITCHEN (Valley Girl)
There's like the Galleria (Valley Girl)
And like all these like really great shoe stores
I love going into like clothing stores and stuff
I like buy the neatest mini-skirts and stuff
It s like so BITCHEN cuz like everybody's like
Super-super nice
It's like so BITCHEN
On Ventura, there she goes
She just bought some bitchen clothes
Tosses her head 'n flips her hair
She got a whole bunch of nothin in there
Anyway, he goes are you into S and M?
I go, oh RIGHT .
Could you like just picture me in like a
LEATHER TEDDY
Yeah right, HURT ME, HURT ME...
I'm sure! NO WAY!
He was like freaking me out...
He called me a BEASTIE...
That's cuz like he was totally BLITZED
He goes like BAG YOUR FACE!
I'm sure!
Valley Girl
She's a Valley Girl
Valley Girl
She's a Valley Girl
Okay, fine...
Fer sure, fer sure
andsoforth ...
der allerdings sollte langen Nachhall haben. Das "Valley" ist ein nordöstlich von Hollywood gelegenes Tal zwischen Encino und San Fernando. Hier lebt der Mittelstand mit seinen verwöhnten brats, für den Brentwood und Bel Air unerschwinglich sind; unter anderen arbeitet hier die weltweit größte Porno-Industrie, was in den lyrics anklingt. Kluge Menschen beschreiben die Historiografie des Stückes auf American Wiki: "Though intended as a parody, the single popularized the Valley Girl stereotype nationwide [still happening today, we might want to add]. Following the single's release, there was a significant increase in "VALSPEAK" slang usage, whether ironically spoken or not." –
Kurz zur Erinnerung, dass es oft nur e i n e s Multiplikators bedarf: Nena in Dieter-Thomas Hecks Hitparade fand alles "geil". Fortan machte sich die bundesrepublika-nische Vorwende-Jugend das Geilfinden zu eigen – schnieke, knorke, klasse, super, das war vorgestern. Die 1980er Jahre, das geile Jahrzehnt, aber nur im Westen.
Yes, fer sure, wir schreiben bei der Veröffentlichung der Zappa-Single den Juni des Jahres 1982. Das nun endlich lokalisierte Phänomen ist heuer stolze 35 Jahre alt und so lebendig wie je. Von Ironie kann allerdings in unserer ironiefreien Gegenwart keine Rede mehr sein. Aber wurde der "VALSPEAK" je ironisch verwendet? Offensichtlich war er bei seiner Erfindung eine rein weibliche Sprachfigur. Zappas Ironie hingegen ist legendär gewesen und zog alles und jeden durch den bitteren Kakao des Kulturkritikers, der er natürlich auch war.
Warum also lässt der Schwachsinn sich niemals eindämmen? Woran liegt es?
Daran, dass sich die Jugend – neben aller Klugscheißerei, die es Gott sei Dank noch gibt – partout nicht festlegen möchte? Alles ist "irgendwie", nur wie genau, weiß man "halt" noch nicht. "Nein, wirklich?" Neue umgangssprachliche Wendungen winden sich "sozusagen" im Halbjahresturnus durch unseren Alltag. Sie zersetzen Klarheit des Satzbaus, Schärfe der Rhetorik, zerfasern jegliches Narrativ, oft genug auch deren Logik, wabern an der Oberfläche der Wortteiche wie unausrottbare Entengrütze und sprechen in ihrer sintflutartigen Verwendung vor allem vom Befinden des Nutzers, sich der Uneigentlichkeit des Seins überantwortet zu haben. "Genau, genau!"
Wer sich vom Wesen der Dinge einen Begriff machen, eine eigene Anschauung von der Welt gewinnen konnte, muss nicht ins "like", ins "sozusagen", ins "pour ainsi dire" abrutschen.
Reden wir also von sprachlichen Zuständen, die mit Lebensaltern einhergehen? Mit einer gewissen Reife und dem gerühmten Erfahrungsschatz wären sie zu überwinden? ... der angelsächsische Hang zur Individualität legt dies nahe. Adulte Sprachkuriositäten besitzen einen starken Eigencharakter und sind nicht mehr gruppenkonform. Es hat sich soz'sagen ausge-like-t. Neue Generationen von teenage twitter machines übernehmen derweil.
Endlich die Pointe: In Deutschland ist alles anders, "irgendwie" gründlicher, langlebiger "halt", weil "gut gemacht", made by germs, exactly. Denn es keimt bei uns das "Sozusagen" erst bei dem Erwachsenen, genauer: beim erwachsenen Bildungsbürger und als Nebengleis: beim Kinde des Bildungsbürgers. Wir müssen einfach gründlich sein. Es ist unsere Natur.
In jeder zweiten Vorlesung, in jeder Eröffnungsrede oder Ansprache lautet das am häufigsten eingesetzte Wort "sozusagen". Es ist zum die Wände der Vortragssäle hochgehen. Ein Sachverhalt unter Gästen, die Gebrauchsanweisung durch den Ingeniör – hat man sich mal drauf eingeschossen, hört man nichts anderes mör. Stellungnahmen der Politiker ... "das ist sozusagen die Lage der Nation", unbeholfenes Lächeln in die Kamera, Raute, Schnitt. –
Was ist in die Leute gefahren, vertrauen sie der eigenen Sprache nicht? Nicht den eigenen Gedanken und Ideen? Alles verharrt in der Unbestimmtheit des "Sozusagen". An diesem Punkt kommen wir mit dem Ersatz von "ähs" und "ähms" im Redefluss nicht weiter. Auf subtile Art wird an Aulatüren wie vorm Plenarsaal Verantwortung abgegeben. Wir leben in einer Welt voller Ungereimtheiten, kein Zweifel. Obwohl wir enorme Wissensberge anhäufen, wird unser Zustand je mehr wir erkennen, desto instabiler. Das "Sozusagen" möchte Brücken bauen zwischen dem kaum Greifbaren hier und dort. Schwankende Hängebrücken durch das Dickicht der Unwägbarkeiten. Ein Adverb als mentaler Stempel auf unserer Sprache. Der Gemütsknick äußert sich nicht mehr in kantig zerteilten Sofakissen, sondern in unserer alltäglichen Kommunikation und Geistesverfassung.
Aber meinen wir nur das gesprochene Wort – geäußert in der Jetztzeit?
Wenn wir daran gehen, die letzten Geheimnisse aufzudecken, die die deutsche Hochsprache noch in der Hinterhand hält, können wir nicht umhin, einigen Literaturfürsten des vergangenen Jahrhunderts "sozusagen" das Kaninchen aus dem Hut zu zaubern: Die "Strudlhofstiege" (1951) hält mindestens zwei "Sozusagen" pro Seite parat. Das möchte mit viel gutem Willen und Sympathie für den Wiener Schmäh Heimito von Doderers angehen: Küss' der gnädigen Frau die Hand und tritt' ihr sozusagen gleichzeitig in den Allerwertesten.
Aber im Buch aller Bücher, des Deutschen Literatur-Urmeter, an welchem in eterno alles zu messen sei? Wer wäre auf einen Schnitt von 42 "Sozusagen" (zwei "gewissermaßen" wurden als ad verbum-Zwillinge mitnotiert) auf 984 Seiten des "Zauberbergs" gekommen? Eines auf jeder zweikommadritten Seite. (Diese unsere Erhebung fand zur Jahrtausendwende statt.)
Thomas Mann schreibt in seiner Todesfuge über ein Lungensanatorium von der Uneigentlichkeit des Todes, dieser "verdammten Schweinerei" (Bazon Brock), die nie ein Ende haben wird. Ihm gelang 1924 das literarische Interludium der Sensenmänner, angesiedelt in der friedfertigen Schweiz, zwischen den Metzeleien der großen Kriege: ", ... Ein Sterbender ist doch sozusagen heilig, sollte ich meinen!'" (nach der Erstausgabe, S. 81) An anderer Stelle: " ... es sei nicht Formlosigkeit, sondern Überform, der Tod als Form, sozusagen, nicht Todesauflösung, sondern Todesstrenge, schwarz, vornehm und blutig." (ebda., S. 690) Mann verwendet das Adverb wie ein "als ob". Angesichts der Unfasslichkeit des Todes und tödlicher Gewissheit oszilliert sein Sanatorium zwischen Philosophenschule von Athen/Davos und letzter Station vor der Querung des Styx. –
Als Aperçu am Rande, lässt sich Mann wie über Tod, Gott und die Welt auch über Redensarten aus. Eine Patientin liebt und hegt sie unverdrossen, während sie dem jungen Hans Castorp "ihrer Abgeschmacktheit und modisch ordinären Verbrauchtheit wegen, auf die Nerven gingen, wie zum Beispiel: 'Das ist die Höhe!' oder: 'Du ahnst es nicht!' Und da die Bezeichnung 'blendend', die das Modemaul lange Zeit für 'glänzend' oder 'vorzüglich' gebraucht hatte, sich als gänzlich ausgelaugt, entkräftet, prostituiert und sohin veraltet erwies, so warf sie sich auf das Neueste, nämlich das Wort 'verheerend', und fand nun, im Ernst oder höhnischerweise, alles 'verheerend' ..." (ebda., S. 411f)
Schon vor knapp hundert Jahren beklagte unser Mann demnach ähnliche Sprachmiseren, deren Herkunft aus plumpem Nachplappern, gruppendynamischen Zwängen, Ironie oder Hohn nicht eindeutig zu klären sei. Nirgends ein Hauch von Trost? Vielleicht aus dieser Warte: Wurde nicht auch ein Quantensprung vollzogen zwischen der Uneigentlichkeit des Todes damals und jener unseres Lebens heute? So exklusiv sich die "likes" aus dem "VALSPEAK" den Oberflächenreizen und Lustbarkeiten der Konsumkultur widmen, so wankend der Boden unter den Füßen der "Sozusagen"-Adepten – alle sprechen, stottern, stammern wir vom Leben, nicht wahr?
Oder aus jener: Die Moden wechseln mit den Jahreszeiten. Wir dürfen auf weniger "ausgelaugte" und "entkräftete" Redensarten hoffen, auch wenn sich die hier beschriebenen sozusagen hartnäckig eingenistet haben.
Warum fiel Ulf Erdmann Ziegler dieser Vergleich beim Verfassen seiner linguistischen Plauderei nicht umstandslos vor die Feder?
P.S.: LeserInnen einer Wochen-FAZ müssen lange suchen, um die Inthronisierung des Verfassers allein über die Mittel der Gestaltung zu erleben: der Haupttitel tomatenrot, die Autornennung in kursiver Serife. Es hätte niemanden verwundert, wenn das "Von" in die zweite Zeile gerutscht wäre – aus Versehen oder besser noch: als ironischer Lapsus.
Es gibt sie also doch noch.
Jeannine Fiedler, März 2017
Samstag, 18. März 2017
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